Die Teuerung ist eine fossile Teuerung (Rede Sondergemeinderat)

Rede Sondergemeinderat: „Der Bund zahlt aus, Wien nimmt es raus – Stadt Wien greift eiskalt in die Taschen der Menschen! SPÖ-NEOS-Stadtregierung muss drohende Gebührenerhöhung aussetzen“ auf Verlangen d der ÖVP, Wiener Gemeinderat, 23.09.2022.

Sehr geehrte Frau Vorsitzende, Sehr geehrte Damen u. Herren,

ich habe lange überlegt, worüber ich heute mit Ihnen reden will. Ich könnte Ihnen jetzt natürlich viel über die wichtigen Maßnahmen der Bundesregierung erzählen. Die vielen Maßnahmen, die rasch helfen wie der Klimabonus. Die drei Auflagen des Teuerungsausgleichs für besonders betroffene Gruppen. Die Strompreisbremse. Eine Strompreisbremse – im Übrigen – die bei den meisten Wohnungen in Wien den Gesamtbedarf an Strom deckeln wird. Der Teuerungsabsetzbetrag. Die zusätzliche Familienbeihilfe. Der Energiekostenausgleich. Und vieles mehr. Diese Mischung aus gezielt und breit wirkenden Maßnahmen ist gut und sie ist wichtig.

Es ist wichtig, dass rasch geholfen wird. Es ist gut, dass dafür neue Instrumente zur Verfügung stehen, wie der Klimabonus. Es ist notwendig, dass ständig neue Instrumente entwickelt werden, wie zum Beispiel die Strompreisbremse. Es ist gut, dass die Bundesregierung, den Wohlstandsverlust, den der Krieg Putins gegen die Ukraine zweifelsfrei für unsere Gesellschaften in Europa bedeutet und bedeuten wird, mit solchen Maßnahmen abfedert. Gerade für jene, die es am meisten trifft.

Der Bund setzt große Reformen um.

Ich könnte natürlich auch lange über die langfristigen Maßnahmen der Bundesregierung mit ihnen sprechen: Die Abschaffung der kalten Progression: Seit Jahrzehnten gefordert, jetzt wird sie umgesetzt.

Oder die automatische Anpassung von Sozialleistungen an die Inflation. Endlich wird der ständige Wertverlust unserer Sozialleistungen beendet. Eine jahrelange Forderung der Armutskonferenz. Jetzt wird das umgesetzt.

Das sind große Schritte. Das sind Reformen, an denen viele Bundesregierungen davor gescheitert sind.

Ist damit alles gut? Nein. Die Situation ist viel zu dramatisch und viel zu dynamisch, als dass man sagen kann: Jetzt sind wir fertig. Es wird laufend neue Maßnahmen brauchen, die auf das, was sich entwickelt, reagieren.

Wien könnte mehr machen.

Ich könnte auch lange darüber reden, dass wir ihn Wien in einzelnen Bereichen noch besser unterstützen müssen. Zum Beispiel, indem wir beim Wiener Energiebonus die Haushaltsgröße berücksichtigen. Auf die Kinder zu vergessen ist nicht klug. Denn gerade Haushalte mit Kindern sind besonders von der Teuerung betroffen. Ihnen sollten wir auch besonders helfen.

Aber ich will die Wiener Unterstützungsmaßnahmen jetzt auch nicht schlecht reden. Auch hier im Haus wurden – von uns immer unterstützt – wichtige und richtige Maßnahmen auf den Weg gebracht.

Sie scheitern halt genauso an der vollständigen Auflösung des Widerspruchs zwischen Schnelligkeit und Zielgenauigkeit. Ich werfe ihnen das gar nicht vor. Ich habe aber auch wenig Verständnis dafür, dass sie das der Bundesregierung dauernd vorwerfen.

Wien könnte gezielt Gebührenerhöhungen aussetzen.

Und ich könnte darauf hinweisen, dass es nicht besonders klug ist das Valorisierungsgesetz – also die automatische Erhöhung aller Gebühren – auch in dieser Ausnahmesituation voll zur Anwendung zu bringen.

Natürlich würde es Sinn machen die Erhöhung bei ausgewählten Gebühren aufgrund dieser absoluten Ausnahmesituation entfallen zu lassen. Oder zumindest niedriger anzusetzen. Die Stadtregierung könnte sich überlegen wie in Sachen Gebühren ein Beitrag zur Erhaltung der Kaufkraft der Wiener:innen und Wiener geleistet werden kann.

Aber ich gestehe auch gerne zu, dass die Möglichkeiten, die wir als Stadt hier haben, begrenzt sind. Wir müssen aufpassen, dass wir das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Denn die Finanzierung der Daseinsvorsorge darf nicht gefährdet werden. Aber es würde schon Sinn machen zu überlegen, wo man die Gebührenerhöhung gezielt weglässt. Gerade dort, wo wir besonders von der Teuerung betroffene Menschen, besonders entlasten können.

Unser Unabhängigkeitskampf

Ich will aber noch über etwas anderes mit Ihnen reden. Wir sollten aufhören nur die Symptome der Teuerung zu bekämpfen:

Wir alle wissen: Im Kern ist diese Teuerung eine fossile Teuerung. Öl und Gas werden von Putin als Instrument der Kriegsführung eingesetzt. Diese Teuerung ist eine fossile Teuerung. Dieser Aspekt kommt mir in unseren Debatten viel zu kurz. Der bestialische Krieg Putins in der Ukraine führt uns plastisch vor Augen wie abhängig wir von Öl und Gas sind. Wie wenig resilient unsere Energieversorgungssysteme angesichts solcher Erpressungsversuche sind. Wie sehr wir in Bedrängnis geraten, wenn man uns droht den Gashahn abzudrehen.

Ich versuche es mal mit einem Vergleich: Wenn wir unsere Abhängigkeit von Öl und Gas als Krankheit verstehen: Dann ist die Teuerung ein Symptom. Und alle Maßnahmen, die ich bisher genannt habe, sind Symptombekämpfung. Und Symptombekämpfung ist wichtig, keine Frage. Aber eigentlich geht es darum jetzt so schnell wie möglich den Grund des Übels zu bekämpfen: Die Abhängigkeit. Vielleicht kann man sich eine Weile mit Substituten behelfen. Aber im Kern geht es darum die Abhängigkeit zu beenden. Auch weil unser Ökosystem wegen unserer Abhängigkeit an einer lebensbedrohlichen Folgeerkrankung leidet: Der Klimakrise.

Eigentlich müssten wir in dieser Situation schon längst alles tun, um so schnell wie möglich raus zu kommen aus der Abhängigkeit von Öl und Gas. Eine Entzugskur, um im Bild zu bleiben. Eigentlich dürfte man sich erwarten, dass jetzt entschlossen und mit voller Kraft an der Beendigung dieser Abhängigkeit gearbeitet wird.

Aufbruch wie im Roten Wien

So wie in den 1920 er Jahren der Wiener Gemeindebau aus dem Boden gestampft wurde, müssen wir in den 2020er Jahren die Wiener Energieunabhängigkeit erkämpfen. Was die Klima- und Energieabhängigkeitskrise im 21. Jahrhundert ist, war die Wohnungskrise Anfang des 20. Jahrhunderts: Ein Problem, das viel zu lange ignoriert wurde. Und ein Problem, das am Ende nur durch entschlossenes Handeln und bis dahin völlig unvorstellbare Anstrengungen gelöst werden konnte.

Die Ukrainer:innen müssen ihre Unabhängigkeit mit Waffen verteidigen. Wir sind in der ungleich privilegierteren Situation, dass wir unseren Unabhängigkeitskampf mit dem Werkzeug von Installateur:innen und Bauarbeiter:innen führen können. Nur machen müssen wir es.

Eigentlich müsste jetzt gerade die ganze Stadt daran arbeiten, dass wir den Gashahn, dass wir die Ölpipeline so bald wie möglich abdrehen können. Dass wir die Abhängigkeit von Öl und Gas so schnell wie möglich beseitigen. Es ist gefährlich, dass wir das nicht schon längst tun. Wir sind in der entscheidenden Frage viel zu langsam. Viel zu langsam.

Es reicht nicht, wenn wir uns im November gemütlich zu einer Bauordnungsenquete zusammensetzen, und eine Bauordnungsnovelle erarbeiten, die dann irgendwann 2023 kommen soll.

Es braucht jetzt einen Plan wie wir die Abhängigkeit von hundertausenden Wiener:innen von einer Gastherme möglichst schnell beseitigen. Wie wir die Dekarbonisierung unserer Fernwärme noch einmal massiv beschleunigen. Wie wir umstellen auf Wärmepumpen, auf Anergienetze, auf Unabhängigkeitsenergien.

Das Rote Wien hat uns in den 1920er Jahren vorgezeigt, wie so etwas geht. Der Ukraine Krieg ist ein letzter Weckruf jetzt endlich die Ärmel hochzukrempeln und sofort alles zu tun, um raus zu kommen aus dieser Abhängigkeit. Sonst droht uns – und das muss auch ganz klar gesagt werden – der kalte Entzug.

Und Jede und Jeder, die:der sich mit Abhängigkeitserkrankungen auskennt, weiß was das heißt. Unerträgliches Leiden und Schmerzen. Jeder Tag, an dem wir weiter nicht verstehen, dass jetzt Ausstieg aus Öl und Gas angesagt ist – und zwar schnell, und zwar sehr schnell – ist ein Tag, an dem Putin versuchen kann uns zu erpressen. Das müssen wir mit aller Kraft verhindern.

So wie jede neue Gemeindewohnung die Wohnungsnot ein Stück gelindert hat macht uns jede Gasheizung, die durch eine Wärmepumpe ersetzt wird, weniger erpressbar, sehr geehrte Damen und Herren. Das ist doch ein schöner Gedanke. Arbeiten wir daran.

Wir alle wissen, dass die Teuerung im Kern eine Teuerung ist, die durch unsere Abhängigkeit von Öl und Gas verschuldet ist. Also tun wir etwas dagegen. Symptombekämpfung ist wichtig und richtig: Damit keine bleibenden Schäden an unserer Gesellschaft entstehen. Aber wir müssen auch an die Wurzel des Problems. Nur Symptombekämpfung ist zu wenig.

Und ja. Haben wir uns als Grüne in dieser Frage während Rot-Grün konsequent genug durchgesetzt. Nein. Sonst wären wir schon weiter. Wir alle in diesem Haus haben nicht einmal annähernd die notwendige Konsequenz an den Tag gelegt, um die Abhängigkeit von Öl und Gas zu beenden und damit das Klima und unsere Freiheit zu schützen. Hätte man das schon früher wissen können. Ja, hätte man. Bringt uns das jetzt was? Eher nicht.

Liebe Kolleg:innen von der SPÖ: Bevor sie jetzt dann wieder einmal damit kommen, was der Bund alles machen müsste. Bevor sie wieder Ausreden suchen, warum just Sie keine Verantwortung für diese Situation tragen. Fragen Sie sich doch einmal, ob ein Gemeindebau stehen würde, wenn man im roten Wien der 1920er Jahre auch so gedacht hätte. Fragen Sie sich, ob ein Sozialist, ob eine Sozialistin dieser Zeit eine solche Haltung auch nur im Ansatz geduldet hätte. Fragen Sie sich, ob das Wohnungsproblem im 20 Jahrhundert gelöst worden wäre, wenn die Sozialistische Partei in Wien damals in einer ähnlichen – sich selbst als Opfer inszenierenden – Lethargie versunken wäre.

Wir brauchen jetzt alle Kräfte: Es gibt so viele Fragen zu klären. Wie bringen wir Projekte wie das Anergienetz in der Geblergasse in die Breite? Es wäre eine Aufgabe für die Wien Energie hier Projekte im großen Stil anzuschieben.

Wie dekarbonisieren wir den Gemeindebau? Wiener Wohnen muss den Gemeindebau vom Nachzügler zum Vorbild machen. Dafür braucht es endlich einen Plan.

Wie beschleunigen wir die Dekarbonisierung der Fernwärme. Wie bringen wir Solaranlagen auf jedes Dach in Wien? Diese Fragen müssen wir jetzt beantworten.

Die Teuerung lindern, das können und müssen wir natürlich machen. Die Teuerung bekämpfen: Das können wir nur, indem wir uns von Öl und Gas befreien. Der Ausstieg aus Öl und Gas, das ist der Unabhängigkeitskampf, den wir jetzt führen müssen.

Ein letzter Punkt noch: Ich halte es in diesem Zusammenhang für doppelt dumm Projekte wie die Stadtautobahn weiter zu verfolgen. Erstens, weil die Stadtautobahn hunderte Millionen an Steuergeld auffrisst, das wir für unsere Energieunabhängigkeit brauchen. Zweitens, weil der Bau der Stadtautobahn, zur Überhitzung der Baukonjunktur beiträgt und damit zur Teuerung. Drittens weil es sich, um ein Großprojekt handelt, dass die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern fördert, statt sie zu reduzieren. Gleiches gilt im Übrigen für die Lobauautobahn. Gut, dass die wenigstens gestoppt ist.

Ich komme zum Schluss: Der Ausstieg aus Öl und Gas ist der Unabhängigkeitskampf unserer Zeit. Die Befreiung aus der Abhängigkeit ist der einzige Weg, der uns langfristig aus der Teuerung führt. Und – das darf man auch in dieser Debatte nicht vergessen: Der Ausstieg aus Öl und Gas ist der einzige Weg, um die Klimakatastrophe abzuwenden. In diesem Sinne: Packen wir es an. Das Rote Wien hat vor hundert Jahren vorgezeigt, dass wir das in Wien können.

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