Rot-Pink kürzt die Wiener Mindestsicherung (Rede Landtag)

Rede zum Entwurf eines Gesetzes, mit dem das Wiener Mindestsicherungsgesetz – WMG geändert wird, Wiener Gemeinderat, 24.06.2021

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Landesrat! Sehr geehrte Damen und Herren!

SPÖ und NEOS verlangen in diesem Antrag massive Verschlechterungen und grobe Leistungskürzungen im Wiener Mindestsicherungsgesetz. Das alles ist ohne Konsultation der Opposition und ohne Begutachtung in wenigen Wochen durchgezogen worden. Aufgrund der gewählten Vorgangsweise hatten zivilgesellschaftliche AkteurInnen nicht einmal die Möglichkeit, zum Gesetzesentwurf Stellung zu beziehen. Das war übrigens bei der letzten Mindestsicherungsreform 2018 anders. Es gibt eigentlich keinen Grund für diese Eile, außer man will Sozialkürzungen nach dem Motto Speed Kills durchdrücken, außer man will verhindern, dass zivilgesellschaftliche AkteurInnen Zeit haben, ihre Stimme gegen dieses unsoziale Vorhaben zu erheben.

Verstehen Sie mich nicht falsch, ich habe Verständnis dafür, wenn aus einem dringlichen Grund ein Begutachtungsverfahren entfallen muss. Wir hatten solche Fälle in diesem Haus, aber auch im Parlament zuletzt häufig, aber weder für den vorliegenden Initiativantrag, noch für den Antrag, mit dem in der Landesverfassung die Möglichkeit eines Doppelbudgets vorgesehen werden soll, ist diese besondere Dringlichkeit gegeben. SPÖ und NEOS sind auf Bundesebene die Ersten, die sich über den Entfall eines Begutachtungsverfahrens beschweren, ich habe den anklagenden Ton von Kollegen Leichtfried zum Beispiel im Ohr. Hier im Wiener Landtag machen Sie den Entfall des Begutachtungsverfahrens jetzt offenbar zum Prinzip. Also was jetzt: Wasser predigen und Wein trinken geht sich jedenfalls nicht aus.

Wie Sie hier mit Begutachtungsverfahren umgehen, ist ein massiver Rückschritt gegenüber den vergangenen zehn Jahren. Das ist eine Unart aus der Zeit, in der die SPÖ absolut regiert hat, nur dass die NEOS und allen voran der selbsternannte Transparenzstadtrat da jetzt mitmachen. Es ist schon erstaunlich, wie schnell man die eigenen Prinzipien über Bord werfen kann.

Es wird aber nicht nur die Transparenz mit Füßen getreten, es werden vor allem massive soziale Rückschritte auf den Rücken von Armutsbetroffenen gemacht. Mitten in der großen Wirtschaftskrise der Zweiten Republik legen uns die Abgeordneten Florianschütz, Mautz-Leopold, Mörk, Emmerling und Konrad einen Initiativantrag vor, mit dem auf Kosten von Menschen, die es besonders schwer haben, gespart wird, mit dem Leistungen teils massiv gekürzt werden, innovative Ansätze, die Erwerbsintegration fördern, sollen entfallen.

Das Ziel der Wiener Mindestsicherung, manifeste Armut zu vermeiden, wird so massiv infrage gestellt. Da frage ich mich schon: Können Sie sich noch in den Spiegel schauen, bei so einem Gesetzesvorschlag? Der Paternalismus der SPÖ, gemischt mit der sozialpolitischen Planlosigkeit der NEOS kumuliert im vorliegenden Initiativantrag zu massiven Verschlechterungen für die Armutsbetroffenen. Was sind unsere konkreten Kritikpunkte? Ihr Vorschlag bedeutet eine klare Verschlechterung für junge Menschen. Zu deren Förderung hat man sich heute schon mehrmals in vollmundigen Wortmeldungen bekannt, ihnen drohen Leistungskürzungen von bis zu 237 EUR pro Monat, ab dem ersten Tag ihrer Notlage. (Zwischenbemerkung von LR Peter Hacker.) – Das ist kein Blödsinn Herr Landesrat, Sie lassen ja jetzt auch neben der Viermonatsfrist die Voraussetzung entfallen, dass seitens der Behörde den jungen Erwachsenen ein Angebot gemacht werden muss. (Zwischenbemerkung von LR Peter Hacker.) – Das ist in diesem Gesetz gestanden, dass das Angebot gemacht werden muss, das streichen Sie, es wird eben jetzt auch gekürzt, wenn die Behörde den jungen Erwachsenen gar kein Angebot macht. Und ich war selbst mit U25 einmal beim AMS für drei Monate gemeldet, was glauben Sie, wie lange es gedauert hat, bis das AMS die erste Schulungs-, Erwerbsausbildungs-, oder sonstige Maßnahme angeboten hat? Es hat drei Monate gedauert, ich habe davor wieder einen Job gefunden. Wäre ich Mindestsicherungsbezieher gewesen, hätte ich mit diesem Vorschlag in diesen drei Monaten bereits eine Kürzung von 25 Prozent bekommen. Das ist das Problem mit diesem Vorschlag, bisher war es eine Bringschuld der Stadt und des AMS, und eine Holschuld der Betroffenen, die geregelt war. Die Stadt nimmt jetzt die Behörde rechtlich aus der Verantwortung und wälzt sie alleine auf die Armutsbetroffenen unter 25-Jährigen über. Den jungen Menschen, die es besonders schwer haben, gerade in der Krise, so in den Rücken zu fallen, finde ich, ist entweder blanker Zynismus oder pure Ignoranz.

Zweiter Kritikpunkt: Ihr Vorschlag setzt auf Sanktionen statt Anreize und streicht den Beschäftigungsbonus plus ersatzlos. Dabei ist das Ziel dieses Instruments, langfristige Erwerbsintegration zu fördern, statt immer nur Kürzungen von Leistungen anzudrohen. Tausende Armutsbetroffene verlieren damit den Anspruch auf eine Einmalzahlung von 683 bis 911 EUR, wenn sie langfristig einen Job finden und behalten. Die Streichung wird mit einer niedrigen Inanspruchnahme argumentiert, und lassen Sie mich da kurz erklären, warum ich das im doppelten Sinn zynisch finde: Einerseits hat bereits 25 Monate nach dem Inkrafttreten dieser Regelung die Pandemie den österreichischen Arbeitsmarkt erschüttert. In den vergangenen 15 Monaten war der Zugang zum Arbeitsmarkt massiv eingeschränkt, das wissen wir alle. Der Einstieg in längere Beschäftigungsverhältnisse, sechs Monate bei 25-Jährigen und ein Jahr bei über 25-Jährigen war massiv erschwert. Jetzt zu sagen, wir streichen diesen Bonus gerade zu jenem Zeitpunkt, wo wieder viele Menschen die Möglichkeit haben, in Beschäftigung zu kommen, und damit die Chance haben, sich diesen Beschäftigungsbonus plus überhaupt zu erarbeiten, ist eine Gemeinheit gegenüber den Betroffenen.

Andererseits, und das ist vielleicht noch viel wichtiger, wurde der Beschäftigungsbonus von der Behörde nie beworben, die Anspruchsberechtigten haben vielfach über den Anspruch gar nicht Bescheid gewusst, man könnte auch sagen, die Stadt hat die hohe Non-Take-Up-Rate einfach bewusst herbeigeführt. Und jetzt zu sagen, wir schaffen den Beschäftigungsbonus plus wieder ab, weil wir es in den vergangen Jahren nicht geschafft haben, die Betroffenen über ihre Ansprüche zu informieren, ist unfassbar zynisch. Das ist einfach nur unfassbar zynisch. Das ist ja offensichtlich ein Versagen der öffentlichen Hand, über die Ansprüche zu informieren, und nicht ein Versagen der Betroffenen. Und das kann man nicht auf die Norm abwälzen, sondern das ist ein Versagen der Behörde in der Verbreitung dessen, welche Ansprüche bestehen würden.

Drittens: In Ihrem Initiativantrag ist auch eine massive Verschärfung bei der Sperre von Leistungen vorgesehen. Schon bisher gibt’s die Möglichkeit, die Mindestsicherung bei fortgesetzter fehlender Mitwirkung auf null zu kürzen. Auch das ist schon höchst fragwürdig, da die Mindestsicherung als Existenzsicherung ausgezahlt wird. Bisher hat ja die Kürzung von der Behörde sofort wieder aufgehoben werden können, wenn die Betroffenen mitgewirkt haben. Nach dem vorliegenden Initiativantrag ist das nicht mehr möglich, es muss zumindest für die Dauer von einem Monat gekürzt werden. Das heißt, selbst wenn Sie eine Verhaltensveränderung zeigen, wird den betroffenen Menschen jede Chance auf sofortige Hilfe genommen. Und das ist das, was wir als ideologiegetriebene Bestrafungsfantasien bezeichnen. So geht man nicht mit Menschen um, die Hilfe brauchen.

Viertens: Sehr geehrte Damen und Herren, Rot-Pink kassiert außerdem weiterhin Unterstützungsleistungen der Bundesregierung für die Betroffenen der Coronakrise im Stadtbudget ein. Auch in diesem Gesetz wird nicht klargestellt, dass die erhöhte Notstandshilfe und der Weiterbildungsbonus nicht auf die Mindestsicherung angerechnet werden sollen. Und lassen Sie mich hier noch einmal auf die Aussagen des Soziallandesrates in der Fragestunde eingehen. Es gibt zwei rechtliche Auffassungen zur Anrechnung der erhöhten Notstandshilfe auf die Mindestsicherung, es ist mir unbegreiflich, warum man genau jene Auslegung wählt, die für die Betroffenen ungünstig ist. Die vom Soziallandesrat in der Anfragebeantwortung genannte schriftliche Rückmeldung des Sozialministeriums, das die erhöhte Notstandshilfe anzurechnen wäre, ist dem Sozialministerium übrigens nicht bekannt. Es ist unredlich, wenn eine Partei auf Bundesebene ein erhöhtes Arbeitslosengeld fordert – eine Forderung, die ich teile –, und dann bei erster Gelegenheit Unterstützungsleistungen für Arbeitslose, die so wenig haben, dass ihr Einkommen unter der Mindestsicherung liegt, einkassiert. Die erhöhte Notstandshilfe und der Weiterbildungsbonus sind nicht dazu gedacht, dass die Stadt damit ihr Budget auffettet. Das muss man dieser Stadtregierung offensichtlich ganz deutlich sagen, die rot-pinke Koalition muss sicherstellen, das diese Unterstützung bei den Menschen ankommt. Sie können dazu unserem Antrag zustimmen.

Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass wir einige Punkte des Initiativantrags positiv sehen. Zu nennen sind hier vor allem die Angleichungen auf bessere Regelungen des Sozialhilfegrundsatzgesetzes. Aber alles in allem ist diese Reform an Kaltschnäuzigkeit gegenüber Armutsgefährdenden und Armutsbetroffenen nicht mehr zu überbieten. Und besonders zynisch ist es, einen solchen Vorschlag mitten in den gröbsten wirtschaftlichen und sozialen Nachwirkungen einer Pandemie auf den Weg zu bringen, während das Leben für viele schon so prekär geworden ist.

Ein Hinweis noch: Die Regierungsfraktionen haben auch einen Beschlussantrag vorgelegt, in dem die Reform des Sozialhilfegrundsatzgesetzes verlangt wird. Wir werden diesem Antrag zustimmen. Wir lehnen das Sozialhilfegrundsatzgesetz von Türkis-Blau in der jetzigen Form ab, haben wir immer schon getan, und Sozialminister Mückstein hat ja auch bereits angekündigt, dass er sich um eine Reform bemühen wird. Es bedarf aber schon einer gewissen Chuzpe, diesen Antrag zu stellen, wenn man gleichzeitig die Wiener Mindestsicherung per Initiativantrag massiv verschlechtert.

Die Sozialhilfe verhindert und bekämpft Armut, nicht die Armen. Ich teile dieses Reformziel, dass der Antrag von Ihren Fraktionen formuliert, aber wie erklären Sie mir, dass Sie gleichzeitig mit einer massiven Verschärfung bei den Sperren von Leistungen die Armen bekämpfen? Die Sozialhilfe legt klar fest, unter welchen Status in Österreich niemand fallen darf. Auch dieses Reformziel, das der Antrag formuliert, teile ich, aber wie erklären Sie mir, dass Sie gleichzeitig planen, jungen Menschen die Leistungen unter das Existenzminimum zu kürzen, wenn Sie nicht ab dem ersten Tag ihrer Notlage in Jobtraining oder Ausbildung sind? Und last but not least, die Sozialhilfe stellt ein Sprungbrett in ein selbstbestimmtes und finanziell unabhängiges Leben dar. Auch hier bin ich einverstanden, aber wie erklären Sie mir, dass Sie den Beschäftigungsbonus plus ersatzlos streichen, der genauso ein Sprungbrett sein könnte? Ich kann hier nur feststellen, dass Sie offenbar die eigene Bekenntnislyrik im Beschlussantrag nicht gelesen oder verstanden haben, bevor Sie den Initiativantrag eingebracht haben. Wir fordern Sie auf, dieses unsoziale Gesetzesvorhaben zurückzuziehen, und wir verlangen, dass eine etwaige Form der Wiener Mindestsicherung einer Begutachtung unterzogen wird, transparent für die Bevölkerung und offen für Stellungnahmen der Zivilgesellschaft, und nicht husch pfusch im Hinterzimmer.

Danke für die Aufmerksamkeit.

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