Was kann Wien aus Großbritannien lernen? (III.)

Die Stadt Wien ist nach China und Kuba die größte öffentliche Immobilieneigentümerin pro Kopf. Der Gemeindebau ist, so widersprüchlich sein Ruf sein mag, eine der größten sozialen Errungenschaften dieser Stadt. Die Mietpreise sind in Wien im Gegensatz zu anderen europäischen Metropolen deshalb vergleichsweise niedrig, weil ein starker öffentlicher Player am Wohnungsmarkt präsent ist, dessen oberste Maxime nicht der Gewinn, sondern der soziale Ausgleich ist. Die soziale Segregation ist in Wien deshalb vergleichsweise geringer, weil der soziale Wohnbau auf die gesamte Stadt verteilt wurde und die Schaffung von reinen Wohnquartieren für sozial Benachteiligte im Großen und Ganzen vermieden werden konnte.

Der soziale Wohnbau ist eine Errungenschaft der Sozialdemokratie, für die es sich zu kämpfen lohnt. Gerade vor dem Hintergund der aktuellen Ereignisse in Großbritannien, muss der Ruf nach Privatisierungen erneut scharf zurückgewiesen werden. Die Prämisse mehr privat, weniger Staat ist Parole einer Dummheit, die sich einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde mehr als verdient hat. Es mag den Einen oder die Andere locken die Schulden der Stadt mittels des Verkaufs von Gemeindeimmobilien zu tilgen. Eine verantwortungsvolle Politik wäre das nicht. Vielmehr gefährliche Effekthascherei zu Lasten des sozialen Zusammenhalts und Friedens.

Die Sozialdemokratie hat den weiteren Bau von Gemeindewohnungen vor ein paar Jahren eingestellt. Das ist für sich genommen schon ein problematisches Signal für den Wohnungsmarkt, vor dem Hintergrund einer schnell wachsenden Stadt ist es fatal. Wenn in den nächsten 10 Jahren Wohnraum für 200.000 Menschen geschaffen wird, dann sinkt der Anteil, den die öffentliche Hand am Wohnungsmarkt hält, rapide und damit einher geht die Gefahr, dass der Mietpreis durch die Spekulationen von privaten ImmobilieneigentümerInnen massiv unter Druck gerät. Der Verzicht auf den Bau von Gemeindewohnungen ist nicht mehr und nicht weniger als die Einengung des Handlungsspielraums der öffentlichen Hand und damit der Verzicht auf Handlungsmacht der Politik.

Wer die Gemeindebauten als Inklusionsvehikel und Mittel zur Stabilisierung des Mietpreisniveaus versteht, muss für die Fortsetzung des Baus von Gemeindewohnungen eintreten, muss sich zum Ziel setzen, dass die öffentliche Hand ihren Anteil am Wohnungsmarkt hält. Die Wiederaufnahme des Gemeindebauprogramms ist eine wichtige Aufgabe für grüne Politik in dieser Stadt und könnte langfristig eine lohnende Zielsetzung einer zweiten rotgrünen Regierungsperiode sein. Die Investitionen, die dafür notwendig sind, stellen eine große Herausforderung dar. Deshalb ist es notwendig jetzt darüber nachzudenken, wie wir diese Herausforderung bewältigen können.

Dafür wird es eine neue Breitner Steuer brauchen, aus der die Mittel für den öffentlichen Wohnbau erbracht werden können. Die Flächenwidmungsabgabe ist ein möglicher Ansatz für dieses Ansinnen. Jedoch geht kein Weg daran vorbei, dass auch der Bund seinen Beitrag leistet, indem Vermögen endlich angemessen besteuert werden. Wenn die ÖVP diesen notwendigen Schritt weiter blockiert, macht sie sich zur Totengräberin der Länder und Gemeinden.

Wenn es nach dem 1. Weltkrieg möglich war eine derartige Investitionsoffensive in öffentlichen Wohnbau zu starten, dann muss es im Kontext des ungleich höheren Reichtums, der dieses Land im 21. Jahrhundert auszeichnet, erst recht möglich sein. Es geht wie gesagt darum die Handlungfähigkeit von Politik Stück für Stück wieder zurückzugewinnen. Mit dem sozialen Wohnbau kann die Politik aber vielmehr für jeden/jede Einzelne/n mehr Handlungsspielraum schaffen. Handlungsspielraum ist wiederum eine wichtige Voraussetzung für demokratische Teilhabe und gesellschaftliche Inklusion. Und wenn es etwas aus den Ereignissen in Großbritannien zu lernen gilt, dann ist das, dass funktionierende Teilhabe- und Inklusionsmechanismen entscheidende Pfeiler des sozialen Friedens sind.

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