Wien ist eine rasant wachsende Stadt. Seriöse Bevölkerungsprognosen sagen einen Nettozuwachs von 20.000 EinwohnerInnen pro Jahr voraus. Das bedeutet, dass Wien im Jahr 2020 ca. 200.000 EinwohnerInnen mehr als jetzt haben wird. Diese Bevölkerungsentwicklung ist wohl die größte Herausforderung vor der Wien aktuell steht. Was hat diese Frage mit den Ereignissen von Großbritannien zu tun? Aus meiner Sicht viel mehr, als es vielleicht auf den ersten Blick scheinen mag.
Zunächst muss in Wien eine Stadt in der Größe von Linz erbaut werden, damit das Mietpreisniveau einigermaßen stabil bleibt. München zeigt vor welche enormen Mietpreissteigerungen ein rapider Bevölkerungszuwachs bewirken kann. Die sozialen Verwerfungen, die stark und schnell ansteigende Lebenserhaltungskosten – vor dem Hintergrund stagnierender Reallöhne – bewirken würden, sind in ihrer Tragweite nicht abzuschätzen, die Schaffung von ausreichendem Wohnraum ist in diesem Kontext alternativlos.
Die Ausbaukapazitäten im innerstädtischen Raum sind spätestens in fünf Jahren erschöpft, dann wird Wohnraum fast ausschließlich durch Stadterweiterung geschaffen werden. Während viele Städte vor dem Hintergrund sinkender Bevölkerungszahlen ihre Infrastruktur zurückbauen müssen, muss in Wien eben diese öffentliche Infrastruktur für die Stadterweiterungsgebiete geschaffen werden. Infrastruktur heisst hochwertige öffentliche Verkehrsanbindung und ebenso hochwertige Bildungseinrichtungen, heisst soziale und kulturelle Infrastruktur, die Inklusion fördert, heisst funktionierende Nahversorgung (…) . Die Gefahr ist, dass der Auf- und Ausbau von öffentlicher Infrastruktur nicht mit den massiven Erfordernissen des Wohnungsbaus Schritt hält. Schließlich ist es eine enorme Herausforderung diese Aufgaben budgetär zu bewältigen.
Das Dilemma der Vermittlung von Planungspolitik ist es, dass sich Planungsfehler in vielen Fällen erst nach Jahrzehnten manifestieren. Der neu entstandene Stadtteil, der mit unzureichender öffentlicher Infrastruktur versehen ist, wird nicht sofort zum Problem, sondern dann, wenn er abgewohnt ist. Wenn sich ein stigmatisierendes Image verfestigt. Dann wirken die Segregations- und Exklusionsmechanismen solcher Stadtteile. Um es plakativ zu machen: Wer den sozialen Sprengstoff, der sich in den britischen Vorstädten, in den Banlieues, in den Großfeldsiedlungen auf unterschiedlichste Weise entladen hat und entlädt, entschärfen will bevor er entsteht, muss die Schaffung inklusionsfördernder Infrastruktur zur Priorität machen.
Wenn sich das Problem manifestiert, bleibt nur mehr Symptombekämpfung: Das ist im besten Falle Sozialarbeit, im schlechtesten Falle sind es ordnungspolitische Maßnahmen und Repression. Verkürzt gesagt heisst das: Wer nicht rechtzeitig in die Schaffung öffentlicher Infrastruktur investiert, muss wenn es zu spät ist viel Geld für Soziale Hilfe und Polizei in die Hand nehmen, ohne viel an der Wurzel des Problems verändern zu können. Die sozialen und gesellschaftlichen Folgekosten der Schaffung reiner Wohnsiedlungen sind ungleich größer, als die Kosten für die Schaffung der nötigen öffentlichen Infrastruktur. Armut, Arbeitslosigkeit und soziale Konflikte wären die Folgen einer kurzsichtigen Sparpolitik hinsichtlich der Stadterweiterung.
Wer aus Großbritannien lernen will muss also die Herausforderungen, vor die uns das rasante Wachstum von Wien stellt, ernst nehmen. Das heisst in Budgetdebatten über den Tellerrand der Legislaturperiode hinauszublicken, das heisst die Handlungsfähigkeit von Politik wieder zu erkämpfen, das heisst jeden Planungsschritt dahingehend zu überdenken wie ein integratives Klima geschaffen werden kann, das Inklusion fördert und Segregation verhindert.
Fortsetzung folgt.