Was kann Wien aus Großbritannien lernen? (I.)

Wie immer wenn es gilt Interpretationshohheit über ein Ereignis zu gewinnen, dessen Einordnung nicht auf den ersten Blick möglich ist, werden von allen Medien ExpertInnen aufgeboten, um zu erklären was in London und anderen britischen Städten gerade passiert. Wie immer sind die Erklärungsansätze vielfältig  und wie immer sind sie unterschiedlich dumm oder klug. Eines haben die Erklärungsansätze in den meisten Mainstreammedien gemeinsam: In Interpretationen verpackt wird geurteilt, ja verurteilt und binnen Wochen wird das mediale Bild zu einem simplifizierenden Urteil verdichtet werden. Dabei wäre eine differenzierte Bearbeitung und Aufarbeitung durchaus angebracht.

Aber ein einheitlicher Begriff ist bereits gefunden: In fast allen breitenwirksamen deutschsprachigen Medien ist von Krawallen die Rede. Längst hat sich der Mainstream von Begriffen wie Revolte, Aufstand oder Unruhen verabschiedet. Die Einordnung beginnt mit dem ersten Tag und endet eindimensionaler als es angemessen wäre. Den sogenannten KrawallmacherInnen schlägt großes Unverständnis entgegen. Anstatt aber zu versuchen zu verstehen, wird verurteilt. Schon in Großbritannien kann dieser Umgang mit den Geschehnissen keine mittel- oder langfristige Lösung bewirken. Der Ruf nach mehr Polizei und härterer Repression ist Symptombekämpfung – ist er immer! Es mag aber aufgrund der aktuellen Situation noch irgendwie nachvollziehbar sein, dass er in Großbritannien aufkommt, zumal der Horizont von konservativen PolitikerInnen leider selten weiter reicht. Außerhalb Großbritanniens aber sind (vorschnelle) Urteile noch absurder. Genauso wie sich der Sinn von (übereilten) Rechtfertigungen nur aus der politischen Agenda des/der Rechtfertigenden ergibt, können (Vor-)Urteile nur als politische Instrumentalisierung der Ereignisse in Großbritannien verstanden werden.

Soziale Aspekte werden in der Debatte zwar nicht ausgeblendet, doch das Urteils-Framing hat sich durchgesetzt und dieses kennt die Erklärung nicht, sondern nur die Rechtfertigung. Und wer will und kann Gewalt, die mitunter zu Toten führt, zumal sie in einem demokratisch verfassten Staat ausgeübt wird, schon rechtfertigen? Das Dilemma des Urteils-Framings ist es, dass die Erklärungsansätze immer stärker beschnitten werden, weil der Versuch der Erklärung von den Urteilenden zur Rechtfertigung verdreht werden könnte bzw. wird. Geschweige denn, dass Schlüsse aus diesen Erklärungsansätzen gezogen werden würden. Übrig bleibt die einzige Handlungsmöglichkeit, die das Urteil offen lässt: Die Symptombekämpfung, die Repression.

Wenn soziale Aspekte in der Debatte vorkommen, dann kommen sie als mögliche Ursachen vor, die keinesfalls, so wird eilig hinzuformuliert, eine Rechtfertigung bedeuten dürften. Der Blick wird auf Jene gerichtet, die in diesem Urteils-Framing die TäterInnen sind. Die Gesellschaft in deren Kontext das alles passiert wird in diesem Diskurs meist nur gestreift. Dass diese Auseinadersetzung lohnend wäre zeigt aus meiner Sicht z. B. die von Philipp Blom eingebrachte Interpretation als Revolte von Thatchers Enkeln. Ein Leitspruch Thatchers war: Es gibt keine Gesellschaft! Die Frage, die sich nun stellt, ist wie sich eine Politik, welche sich nach dieser Idee ausrichtet langfristig auf eine Gesellschaft auswirkt, wenn es sie denn doch gibt.

Eine globale Auseinandersetzung mit den Ereignissen von Großbritannien endet zumindest im deutschsprachigen Raum mit der bangen Frage: Ist so etwas bei uns auch möglich? und der beschwichtigenden Antwort: Nein, die Zustände in unseren Städten sind andere!, manchmal versehen mit dem bedrohlichen Nachsatz: Aber die Zustände in unseren Städten können sich ändern. Was aber können die Schlussfolgerungen für eine Großstadt, wie Wien eine ist, sein? Welche Maßnahmen sollte die Politik ergreifen um den sozialen Frieden zu fördern? Was heißt das für Sozialpolitik, Bildungswesen, Stadtplanung und Verteilungspolitik? Letztendlich sind das Fragen, die die Auffassungen von Gesellschaft verhandeln. Die Ereignisse von Großbritannien sollten Anlass genug sein sich diesem Diskurs zu widmen!

Fortsetzung folgt.

Ein Kommentar zu „Was kann Wien aus Großbritannien lernen? (I.)

  1. Dank für diesen Artikel. Die Berichterstattung über die Aufstände in UK zeigt in meinen Augen sehr deutlich auf, wie wichtig alternative Medien sind. Eine umfassende Übersicht zu alternativen Berichten gibt es unter http://www.indymedia.org.uk/en/2011/08/483296.html und http://de.indymedia.org/2011/08/313618.shtml

    Und hier noch ein link zu einer lesenswerten Analyse der TV-Berichterstattung und ihre Repressionslogik: http://fernseherkaputt.blogspot.com/2011/08/uber-die-falsche-gewaltdebatte.html

    Bin auf die Fortsetzung der Artikelserie gespannt. Weiter so!

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